SSBL Jubiläums-Beilage 2021

«Kreuzworträtsel finde ich super» Pirmin Bossart Guido Graf, das Leitbild «Leben mit Behinderungen im Kanton Luzern» von 2019 zeigt auf, wie das Zusam- menleben von Menschen mit und ohne Behinderungen im Kanton Lu- zern künftig verbessert werden soll. Wo steht die Umsetzung heute? Guido Graf: Wir sind auf einem guten Weg. Es ist ein Paradigmenwechsel feststellbar, nicht nur in der Politik, auch in der Wirtschaft und in der Ge- sellschaft. So konnte die Zusammen- arbeit innerhalb des Kantons Luzern und zwischen den Zentralschweizer Kantonen in den letzten Jahren inten- siviert werden. Das Zentralschweizer Rahmenkonzept Behindertenpolitik 2019 und die Gesetzesrevision zur Anerkennung und Finanzierung am- bulanter Leistungen 2020 haben wichtige Rahmenbedingungen zur Selbstbestimmung und Wahlfreiheit geschaffen. Inwieweit sind die Bestimmungen der UNO-Behindertenrechtskonven- tion in den Institutionen im Kanton Luzern schon Alltag geworden? Ich begrüsse es sehr, dass viele unse- rer Institutionen schon seit Jahren da- ran arbeiten, die Konvention auch in ihrem Arbeitsalltag umzusetzen. Die- ser wird sich weiter in diese Richtung verändern. Genügen die gesetzlichen Rahmen- bedingungen oder bedarf es einer Korrektur, damit es für Menschenmit Behinderung einfacher wird, ihr Le- ben selbst zu organisieren? Aus meiner Sicht sind die gesetzli- chen Rahmenbedingungen auf natio- naler wie internationaler Ebene aus- reichend. Wichtig ist die gemeinsame Umsetzung dieser Vorgaben. Es braucht dazu ein Bekenntnis nicht nur von Seiten des Bundes oder der Kan- tone, sondern von allen Beteiligten. Wie meinen Sie das konkret? Auf welchen Ebenen lässt das Engage- ment zu wünschen übrig? Meine persönlichen Kontakte mit Menschen mit Behinderungen bestä- tigen, dass diese ihre Selbstständig- keit aktiv leben und gleichberechtigt an der Gesellschaft teilnehmen wol- len. Es ist unsere Aufgabe, Menschen mit und ohne Behinderungen mit Wertschätzung zu begegnen, ihre Autonomie anzuerkennen und sie bei Bedarf in allen Lebensbereichen zu unterstützen. Als Nachbar, als Arbeit- geberin oder als Fachperson können wir uns noch stärker engagieren. Der Planungsbericht 2020 bis 2023 legt die wichtigsten Mengenentwick- lungen und die Betreuungsbedarfs­ entwicklung imKanton fest. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz nach zwei Jah- ren aus? Im stationären Bereich geht der Be- richt bei der Mengenentwicklung auf- grund des steigenden Leistungs- drucks im Arbeitsmarkt von einer leichten Nachfragesteigerung bei der Tagesstruktur mit Lohn aus. Beim Wohnen und bei der Tagesstruktur ohne Lohn wird – abgesehen vom Ausbau des Wohnheims Sonnegarte in St. Urban – keine Zunahme erwar- tet. Weil die Menschen mit Behinde- rung älter werden, weil vermehrt Per- sonen mit Doppeldiagnosen oder Verhaltensauffälligkeiten zu betreuen sind und weil die Komplexität der Be- treuungssituationen allgemein steigt, wird jedoch ein steigender Bedarf an Ressourcen und Personal erwartet. Und im ambulanten Bereich? Angebote wurden aufgebaut, doch die Nachfrage ist zurzeit noch unge- deckt. Erste Gesuche sind bearbeitet und abgeschlossen worden. Die An- gebote sind aber noch zu wenig be- kannt, was ich bedaure. Wie kann das geändert werden? Die Information und Sensibilisierung durch Verwaltung, Fachstellen und Institutionen sind eine wichtige Mass- nahme. Auch die Erfahrungsberichte von Menschen mit Behinderungen können den Entscheid für ambulante Angebote unterstützen. Sind die im Planungsbericht ge- machten Annahmen eingetroffen? In den letzten zwei Jahren ist bei den Tagesstruktur-Plätzenmit Lohn (TSmL) ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Die Annahme im Planungsbericht be- stätigt sich hier. Auch beim Wohnen und bei der Tagesstruktur ohne Lohn ist die Dienststelle Soziales und Ge- sellschaft (DISG) mit den sozialen Einrichtungen daran, ihr Angebot ge- mäss dem individuellen Bedarf der Menschen mit Behinderungen weiter- zuentwickeln. Hierbei geht es nicht um einen Ausbau, sondern um die Umwandlung von stationären Plätzen, damit wir den Bedürfnissen der Be- treuten noch besser gerecht werden können. Welche Schlussfolgerungen können jetzt schon für den nächsten Pla- nungsbericht gezogen werden? Die Zwischenbilanz bestätigt die Aus- richtung des Planungsberichts: Im sta- tionären Bereich ist die mengenmässi- geEntwicklungnicht zentral, wohl aber eine weitere qualitative Verbesserung. Im ambulanten Bereich aber steht die Weiterentwicklung von Angeboten im Fokus. Es müssen beide Bereiche ne- beneinander Platz haben und bedarfs- orientiert angepasst werden. Bei der Angebotsentwicklung gilt der Grundsatz ambulant und stationär. Mit den 2020 neu eingeführten am- bulanten Fachleistungen sollen Men- schen mit Behinderung möglichst selbstständig leben können. Wie viele neue Fachdienstleister wurden bis heute vom Kanton anerkannt? Bisher wurden vier Organisationen anerkannt, die ambulante Fach- dienstleistungen erbringen. Im Be- reichWohnen handelt es sich umden Verein Luniq und Pro Infirmis; im Be- reich Arbeit sind es die Stiftung Pro- fil und der Verein IG Arbeit. Was ziehen Sie bis jetzt für Schluss- folgerungen? Unsere Zwischenbilanz ist positiv. Der eingeschlagene Weg, die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittel- punkt zu stellen, ist der richtige. Die Förderung der Wahlfreiheit und Selbstbestimmung der Menschen wird weiterhin unser Hauptziel sein. Brändi, SSBL und Traversa sind die grössten sozialen Organisationen in ihren Spezialgebieten. Das schränkt die Wahlfreiheit für Menschen mit Behinderung ein. Gedenkt der Kan- ton, diese gewachsenen Strukturen so zu belassen oder werden auch an- dere Möglichkeiten angedacht? Es gibt meiner Ansicht nach kein Ent- weder-oder, wie eine Organisations- formbeschaffen sein soll. Sowohl neue kleine Anbieter als auch neue Angebo- te der grossen Institutionen, die mehr Auswahl oder Differenzierung bieten, können dieWahlfreiheit der Menschen mit Behinderungen erhöhen. Für mich ist klar, und dafür werde ich mich im- mer einsetzen: Im Zentrum soll bei al- lenAngeboten und Entwicklungen, ob von kleinen oder grossen Anbietern, immer der Mensch mit seinen Bedürf- nissen und Fähigkeiten stehen. 3 Die SSBL und der Kanton Luzern Regierungsrat Guido Graf empfängt Werner Illi zu einem nicht alltäglichen Inter- view (siehe Kasten oben). Werner Illi* Guten Tag, Herr Regierungsrat Gui- doGraf. Ich binWerner Illi und arbei- te für die «Brieftuube». Gerne wür- de ich Ihnen einige Fragen stellen. Guido Graf: Ja, gerne. Was möchten Sie wissen? Kennen Sie die SSBL? Waren Sie schon in Rathausen? Ja, ich kenne die SSBL sehr gut und schätze sie auch sehr. In Rathausen war ich schon oft. Das Café Rat­ hausen gefällt mir sehr gut. Ich finde es toll, dass sich daMenschenmit und ohne Behinderungen treffen. Ausser- dem isst und trinkt man gut im Café. Haben Sie Pausen? Oder müssen Sie den ganzen Tag hart arbeiten und an vielen Sitzungen teilnehmen? Es gibt Tage, da muss ich intensiv Dossiers studieren und an vielen Sit- zungen teilnehmen. Dann habe ich kaum eine Pause. Es gibt aber auch Tage, an denen ich kurze Pausen machen kann. Was haben Sie gelernt? Ich habe ursprünglich eine Lehre als Bauzeichner gemacht und bin diplo- mierter Bautechniker HF. Dann habe ich am Institut für Verbandsmanage- ment (VMI) der Universität Freiburg das Diplom NPO Management VMI erlangt. Zudem habe ich ein CAS und einen MBA für strategisches Ma- nagement und Leadership vom Ins- titut für Kommunikation und Füh- rung IFK Luzern. Was machen Sie gerne in Ihrer Frei- zeit, an Wochenenden und in den Ferien? Am liebsten bin ich am Weiher und fische. Auch Fussballspiele des FCL sehe ich mir sehr gerne an. Schauen Sie auch fern? Interessie- ren Sie sich für Formel 1? Ja, ich finde Formel-1-Autorennen sehr interessant. Mir gefallen schnel- le Autos. Was fahren Sie für ein Auto? Haben Sie ein schnelles Auto? Ich fahre einen Audi E-Tron GT mit elektrischem Antriebssystem. Die- ses Auto ist schnell – aber nur da, wo man schnell fahren darf! Machen Sie gerne Kreuzworträtsel? Ich habe Ihnen ein selbstgemachtes mitgebracht. Darüber freue ich mich nun aber sehr. Vielen herzlichen Dank. Wenn ich das nächste Mal eine Pause habe, werde ich mit Vergnügen Ihr Kreuz- worträtsel lösen, versprochen. Kreuz- worträtsel finde ich nämlich super. Haben Sie Familie? Ja, ich bin seit 35 Jahren verheiratet und habe drei erwachsene Kinder. Vielen Dank für Ihre Antworten. * In Rathausen entsteht regelmässig das Ma- gazin «Brieftuube», das von Klientinnen und Klientengemachtwird.FürdiesesMagazinhat Werner Illi ein Interview mit Regierungsrat Guido Graf geführt. INTERVIEW | Wo steht die Politik für Menschen mit Behinderungen heute? «Wir können uns noch stärker engagieren» Der Luzerner Sozialdirektor Guido Graf setzt sich für grösstmögliche Selbstbestimmung, Wahlfreiheit und eine gute Durchlässigkeit zwischen stationären und ambulanten Angeboten ein. «Angebote wurden im ambulanten Bereich aufgebaut. Sie sind aber noch zu wenig bekannt, was ich bedaure.» Bild: Christoph Arnet

RkJQdWJsaXNoZXIy MzA1MTI=