z mitts drin Nr. 04/2021
«Auch in der Psychiatrie geht es um Lebensqualität» Seit vielen Jahren besteht eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen der SSBL und der Luzerner Psychiatrie (lups). Dazu gehören der regelmässige Austausch beider Institutionen (Geschäftsleitung und Fachstellen wie heilpädagogisch-psychiatrische Fachstelle der lups und Fachstelle Psychologie der SSBL) und der Beratungsdienst der lups vor Ort in Rathausen. Von Dr.med. Julius Kurmann, ehemaliger Chefarzt der lups, wollten wir mehr über den Lebensraum Psychiatrie wissen. INTERVIEW | Im Gespräch mit Dr. med. Julius Kurmann, ehemaliger Chefarzt der Luzerner Psychiatrie Wie schafft man Menschen, die in der Psychiatrie versorgt werden, diesen Lebensraum? Auch in der Psychiatrie geht es nicht mehr nur darum, eine Symptomreduktion bei der psy- chischen Erkrankung zu errei- chen, sondern es geht vielmehr um Lebensqualität. Durch die Bewegung von «Recovery» steht dieses Ziel einer Erreichung einer guten Lebensqualität viel mehr im Zentrum. Die Patien- ten und Patientinnen in der Psy chiatrie lernen in einem ersten Schritt, ihre eigene Krankheit zu akzeptieren, zu erfahren, wel- che Beeinträchtigungen, aber auch welche Ressourcen und Möglichkeiten sie haben. Sie ver- suchen, mit den Einschränkun- gen einen Weg zu finden, damit sie ihr Leben möglichst frei und selbstbestimmt mit wenig Ängs- ten, Sorgen und Nöten ausleben können. Die SSBL bietet Menschen mit schweren Behin- derungen Lebensraum, indem sie verschiedene Formen von Betreuung und Zusammenleben ermöglicht. Wie wird (befristetes) Zusammen leben in der modernen Psychiatrie realisiert? Wenn ein Patient, eine Patientin in die Psychiatrie eingewiesen wird, kann sie nicht auswählen, mit welchen Menschen sie für eine kurze oder längere Zeit auf einer Station zusammenlebt. Dies kann belastend sein, es kann aber auch einen Übungs- raum darstellen, indem sich der Patient, die Patien- tin auch in seiner Persönlichkeit entwickeln kann. Er versucht vielleicht Neues, entdeckt neue Bezie- hungen, lernt vielleicht zu sich zu stehen oder seine Meinung zu äussern. Die Möglichkeit, die heilpädagogisch-psychiatri- schen Fachdienstleistungen zu nutzen, hat schon manche sich anbahnende Krise bei Bewohnerinnen und Bewohnern der SSBL verhindert und dadurch die Lebensqualität erhalten. Umgekehrt konnte die Rückkehr nach einem temporären Aufenthalt in der Akutpsychiatrie durch die heilpädagogisch- psychiatrische Liaison-Dienstleistung erleichtert und damit der gewohnte Lebensraum für Bewoh- nerinnen und Bewohner der SSBL wiedergeschaf- fen werden. Eine wirkungsvolle Zusammenarbeit steht und fällt mit demEngagement der Beteiligten. Dr.med. Julius Kurmann, während mehr als 24 Jahren Chefarzt der lups, ermöglichte diese erfolgreiche Kooperation seit Beginn. Als Psychiater weiss er um die Bedeu- tung eines intakten Lebensraums für Menschen. Wir möchten erfahren, wie er diesen darstellt. INTERVIEW VON DR. ISABELLE EGGER TRESCH (ehem. Leiterin Leistungsmanagement) UND ELENA LUSTENBERGER (Fachstelle Psychologie) Herr Kurmann, als Psychiater sind Sie ein Men- schenkenner. Was bedeutet für Sie ein intakter Lebensraum? Wenn Sie von intaktem Lebensraum sprechen, weist das auf einen idealen Charakter hin. Niemand von uns kann ein «ideales Leben in einem intakten Lebensraum» führen. Unser Leben ist für alle von uns eine stete Herausforderung. Wir haben aber die Möglichkeit, unser Leben so zu gestalten, dass wir von einem gelungenen Leben sprechen können. Ein gelungenes Leben bedeutet, dass ich eine Balance zwischen Herausforderun- gen und Belastungen herstellen kann, dass ich ein gutes soziales, stabiles Umfeld schaffen kann mit Menschen, mit denen ich mich austauschen kann, denen ich etwas geben kann, von denen ich aber auch Liebe und Unterstützung erhalte. 18 ANSICHTEN
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